JOHN HEARTFIELD –
BILDER MIT WUCHT

Um an die Macht zu kommen, brauchte Hitler Spenden. Heartfield entlarvte mit dieser Bildmontage die Verbindung zwischen Nazis und Großindustrie – und machte sich mächtige Feinde.

Die Geschichte der Bildbearbeitung, Teil 3

Der „Führer“ schäumt!
Es ist Nacht in Berlin, als finstere Gestapo-Schergen in Ledermänteln gewaltsam eine Wohnung aufbrechen, um einen Mann festzunehmen. Es ist John Heartfield, ein Grafiker. Und wie es scheint, auch Fluchtkünstler, denn er entkommt durchs Fenster und dunkle Hinterhöfe. Nur: Was hat er getan, um auf Adolf Hitlers Liste der meistgesuchten Gegner zu landen?
In dieser Folge beschäftigen wir uns bei „Der Retuscheur“ mit einem echten Helden des Bild-Compositings. John Heartfield hieß eigentlich Helmut Herzfeld und hatte sich schon im ersten Weltkrieg aus Protest gegen den Engländer-Hass seiner deutschen Mitbürger umbenannt. Und seitdem waren seine grafischen Arbeiten politischer Sprengstoff.  
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Wem schneidet John Heartfield hier den Kopf ab? Es ist der Polizeipräsident von Berlin, der 1929 eine KPD-Demo niederschießen ließ (30 Tote, hunderte Verletzte). Heartfield feuert mit bloßstellenden Bildmontagen zurück.

Mit Schere, Kleber, Reprokamera

Was ein „meme“ ist, weiß heute jeder: Ein Bild aus dem Kontext gerissen, etwas verändert und mit einem überraschenden Spruch versehen. Dieses Prinzip geht tatsächlich auf John Heartfield zurück. Allerdings hatte er keine App oder das Internet zur Verfügung. Er brachte es mit einfachsten technischen Mittel zur Meisterschaft, zum vielbeachteten Dada-Künstler und zum Verlagsgründer. Doch als 1933 die Nazis kamen, arbeitete er bald nur noch im Verborgenen. Denn seine Bildmontagen, wenn auch humorvoll, waren nicht zur Unterhaltung, sondern gegen die Propaganda der Machthaber gerichtet. Gemütlich am Mac sitzen und mit Photoshop in aller Ruhe retuschieren war für Heartfield nicht drin. Seine Compositings brachten ihn ständig in Gefahr.
Zitat John Heartfield: „Macht Bilder mit Wucht, die aufrütteln! Ein emotionaler Schrei.“

 

Warum waren Heartfields Arbeiten so provozierend?

Die Technik der Fotomontage war an sich nicht neu und handwerklich ging John eher grob zur Sache. Die Innovation bestand in der Verwendung bekannter Fotografien politischer Personen, die durch Heartfield zu offensichtlichen Arschgesichtern wurden. Das gelang ihm durch intelligente Out-of-Context-Compositings mit denen er jedes Mal ins Schwarze traf. Und ins Braune vor allem.
Viele der hier gezeigten Montagen sind Cover der kommunistischen AIZ (Arbeiter Illustrierte Zeitung), die vor 1933 erschien. Später arbeitete Heartfield im Untergrund weiter und schließlich im Ausland.

Ein Simulant aber kein Drückeberger

Helmut Herzfeld war Werbegrafiker und hatte keine Lust, sich 1915 an der Front totschießen zu lassen, also warf er sich tagelang auf den Boden und schrie oder starrte katatonisch vor sich hin, bis man ihn als unheilbar nervenkrank aus der Armee entließ. Guter fake, Helmut! Oder besser: John. Die Umbenennung war ein Statement gegen den Wahnsinn der durch die Politik künstlich erzeugten Feindbilder („Jeder Schuss ein Russ‘, jeder Stoß ein Franzos‘, und Gott strafe England“). Nach dem Ersten Weltkrieg war Heartfield einer der Protagonisten in der Dada-Bewegung, die sich bekanntlich stark der Fotocollage bediente. Und er wurde zum Meister dieser Technik, seine Entwürfe waren auch kommerziell als Buchcover und Bühnenbilder gefragt; er gründete den „Malik-Verlag“ und war vor allem einer der wichtigsten Macher der „Arbeiter Illustrierten Zeitung“, einem kommunistischen Blatt. Immer wieder lieferte er satirische und kritische Bildbeiträge und schärfte so sein grafisches Schwert. 1924 entstand seine erste politische Fotomontage: Sie bringt die Skelette der kriegstoten Väter mit Kindern in Uniform zusammen, um die Fortsetzung des Militarismus zu kritisieren, und er wagt es, den Ex-Heeresführer Hindenburg ins Bild zu setzen, der sich 1924 zum Reichspräsidenten aufstellen ließ. Heartfield wusste: Deutschland gestand sich seine Niederlage nie wirklich ein, da war ein Schwelbrand auf den er hinwies. Er hatte recht, denn aus dem Schlamm deutscher Wut und empfundener Schande kroch Adolf Hitler hervor. Und der Emporkömmling brauchte Geld, um seine gefährliche Bewegung zu finanzieren. Heartfield setzte seine Beobachtung als Bild um mit dem Titel „Millionen stehen hinter mir“: Hitler mit seinem typischen Gruß, die Hand nach hinten geklappt – doch ein Industrieller legt ihm ein dickes Geldbündel hinein. Der Untertitel: „Der Sinn des Hitlergrußes: Kleiner Mann bittet um große Gaben.“ 
Seitdem hatten die Nazis Heartfield im Visier. Dennoch besaß er den Mumm, sogar nach der Machtergreifung den Diktator mit seinen Bildmontagen bloßzustellen, druckte heimlich ein Satireblatt und verteilte es undercover in Berlin – hochriskant, und so ein Stück Papier brannte jedem, der es einsteckte, ein Loch in die Tasche, denn Heartfield war nicht bloß kritisch, er war Kommunist.
Besonders der Propagandateufel Goebbels  hasste ihn aus vollem, braunen Herzen. Unser Held musste fliehen, nach Prag, und schickte von dort aus zahllose grafische Nadelstiche heim ins Reich. In Paris widmete man ihm deswegen sogar eine Ausstellung. Doch wie wir alle wissen: Das monströse Nazideutschland schluckte Tschechien. Heartfield konnte nur knapp mit englischer Hilfe entkommen. Leider misstraute man ihm in England als Kommunist zunächst und er verbrachte ein Zeit im Internierungslager. Undank ist der Welt Lohn, doch er rehabilitierte sich mithilfe von Freunden und arbeitete schließlich bis 1950 für Verlage in Großbritannien. Leider beging er dann den Fehler, in die DDR zu gehen – das neue Fake-Deutschland. Hier wurde er keineswegs mit offenen Armen empfangen, sondern kurzgehalten und fix und fertig kritisiert. Nicht mal in die tolle SED durfte er eintreten. Zu gefährlich der Mann. Er muss trotz seines politischen Gespürs die Ent-Täuschung seines Lebens durchmachen: Die neuen roten Sozialisten waren genau so totalitär wie die alten, braunen. Heartfield, Herzfeld, bekam mehrere Herzinfarkte. Berthold Brecht päppelte ihn in seinem Landhaus wieder auf, und andere DDR-Intellektuelle setzten sich für ihn ein. Er wurde in die Akademie der Künste aufgenommen und erhielt später einen Professorentitel. Schade, schade, Johnny! Am Ende hast du dich doch instrumentalisieren lassen, dem Collage-Tiger wurden die Zähne gezogen. Nie wieder hattest du dieselbe Beißkraft wie früher. Und dennoch bleibst du für uns der größte Held des politischen Bild-Compositings for ever!

Druck, Satz und Sieg

Irgendein Berliner Hinterhof, ein versteckter Keller. Im Treppenhaus riecht es nach Kohlsuppe, ein treuer Kommunist mit Schiebermütze steht Schmiere. Im Keller riecht’s nach Druckerschwärze und Schweiß, denn es muss schnell gehen, um die Auflage des illegalen Satireblatts zu produzieren. Es ist lebensgefährlich, die Gestapo sucht nach ihnen. Vor allem wollen sie ihn: John Heartfield. Während seine Kumpane drucken, sitzt er dort im Licht einer nackten Glühbirne und schnippelt die nächste Provokation, den nächsten Tritt in Hitlers Gesicht. Der Keller hier ist ein Abstieg für ihn, die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ mit einer halben Million Käufer gibt es nicht mehr. Doch er riskiert sein Leben weiter aus Leidenschaft für die Freiheit.
Dieses Gefühl, dass jedes Foto in den regierungsnahen Zeitungen nur der Manipulation des Volkes diente, war bei ihm immer da. Jede Pose der autoritären Machthaber soll Integrität vortäuschen. Er aber nutzt dieselben Bilder, um ihnen die Masken herunterzureißen. Material zu finden, ist leicht, die Nazipropaganda ballert mit den Abbildungen bellender Schnauzen nur so um sich, Goebbels, Hitler, Göring finden sich selbst ja arisch-schön. Heartfield zeigt ihre wahren Fratzen, findet die richtigen Sprüche zu den Bildern, die jeder sofort versteht. Das macht ihn für die Nazis zur Bedrohung. 
Und trotzdem geht’s jetzt mit den frisch gedruckten Blättern unterm Mantel raus auf die Straße. Einfach in die Briefkästen stecken geht nicht, die Zeitung muss verkauft werden, um die geheime Truppe und ihr Werk weiter zu finanzieren. Das klappt nur über ein vertrauenswürdiges Netzwerk und schnelle Halbwüchsige, Kommunistensöhne auf Fahrrädern und einige mutige Kioskbesitzer, die die Blätter unter der Ladentheke anbieten. Alles innerhalb einer Stunde, und die Leser wissen schon Bescheid, denn nur durch Geschwindigkeit können Hitlers Häscher ausgetrickst werden. Das Publikum sind nicht nur Widerständler, so manches gedrucktes Exemplar findet seinen Weg in die bürgerlichen Stuben, und egal ob Freund oder Feind, keiner bleibt unberührt von der nächsten Ungeheuerlichkeit über Hitler, der mit der Gießkanne die Deutsche Eiche wässert, an der  Soldatenhelme wachsen, oder über den fetten Göring, der mit der Fackel die Welt anzündet.
Wieder ist eine Auflage gelungen und sofort vergriffen, ein erfolgreicher Tag im Abwehrkampf gegen das Regime, doch in derselben Nacht zahlt Heartfield fast mit seinem Leben. Sie finden ihn. Doch John „die Schere“ kann entkommen, immer wieder. Er schafft es tatsächlich bis zu Hitlers Ende. Und seine Arbeit hat im Ausland dazu beigetragen, die Nazis ins rechte schlechte Licht zu rücken und alliierte Kräfte wachzurütteln. Well done, Johnny!

Diese Bildmontage ist mit KI entstanden, als Hommage an John Heartfield. Würde er heute Künstliche Intelligenz benutzen? Ein Bild mag mehr sagen als 1000 Worte, aber nach Heartfield ist die Kombination Bild plus Wort am explosivsten.

Sind Bilder heute weniger scharfe Waffen?

Spätestens seit KI ist keinem Bild mehr zu trauen, das Politiker in kompromittierenden Situationen zeigt oder den Papst in Strapsen. Die Übersättigung führt zur Abstumpfung, und selbst wenn ein politisches Meme gelingt, wird es ganz schnell durch die Flut des Tik-Tok-Instagram-Youtube-Schwachsinns überspült. Die Brisanz eines einzelnen Bildes ist nicht mehr wie früher. Heartfields Montagen waren sein Gegenmittel zu den Massen-Manipulationen der Nazis, die damals die Medien dominierten und zensierten. Weil Zensur heute bedeutend schwieriger ist, besteht eher die Gefahr durch das Aushöhlen der Glaubwürdigkeit durch ständig neue Fake-Bilder. Wir bei „Der Retuscheur“ sind uns darüber im Klaren, dass jede Art der Retusche zu einem gewissen Grad Manipulation der Betrachter bedeutet, und dass wir selbst keine politisch motivierten Compositings vornehmen wie dieser Actionheld der politischen Fotomontage. Oder doch? Hätten wir es drauf wie er? Angesichts des Abdriftens in der heutigen politischen Landschaft könnten wir alle John Heartfields Herz gebrauchen!
Wir arbeiten im Bewusstsein dieser Vorgeschichte (auch unseres Berufs) und vor allem mit dem Wissen, dass Bilder Geschichte beeinflussen können. Oder ganz trivial Kaufentscheidungen auslösen, für Werbung im besten Sinne. Also wenn Sie’s nur kommerziell darauf anlegen, buchen Sie uns, wir sind richtig gut! 
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Herzliche Grüße
Jens Briskorn und das Team bei „Der Retuscheur“ www.derretuscheur.de
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